Meine Kindheit im Dorfladen

Erinnerungen an meine Kindheit in Kettenis

Angeregt durch die wunderbare Erzählung meines Freundes Erwin Kreusch über seine Jugenderinnerungen, die auch in mir Vieles wachriefen, dachte ich mir, an dieser Stelle, auch mal von meiner Kindheit und Jugendzeit in unserem kleinen Dorfladen zu berichten. Hier nun einige Erlebnisse aus den 50 bis 60er Jahren, also zu der Zeit, vor den Großkaufhäusern, als es in Kettenis noch mindestens 10, sogenannte „Tante-Emma-Läden“, gab.

Ich erinnere mich an Gillessen, Reul, Gauder, Liebertz, Thissen (jeweils mit Backwaren), sowie an Hick, Dederichs, Nussbaum, Orban (mit Obst und Gemüse), Ürlings (Oberste Heide), wir und die Metzgerei Heuschen. Trotz Konkurrenz herrschte doch auch eine gewisse Solidarität vor.

So haben die Eltern immer wieder Angebote auch Obst und Gemüse zu verkaufen, abgelehnt, mit der Begründung, dass man das doch dem Herrn Orban nicht antun könne. Dieser drehte wöchentlich seine Runden durchs Dorf mit Pferd und Karren und, erst viel später, mit einem sehr geräuschvollen dreirädrigem Lieferwagen.

Da weitaus weniger Leute ein Auto besaßen als heute, wurde die Ware noch oft zum Kunden gebracht. So fuhr mein Vater im wöchentlichen Wechsel, einmal über Raerenpfad, dann über Gemehret, „Reisen“. Dies beinhaltete, Montags sämtliche Kunden zu Hause besuchen, die Bestellung aufschreiben, und Mittwochs dann Liefern. Es versteht sich von selbst, dass die menschliche Kommunikation (hier ein Tässchen Kaffee, dort ein Schnäpschen usw.) einen großen Raum einnahm. Bei der Gelegenheit durfte ich, in den Ferien, Papa oft begleiten und lernte so, ganz nebenbei, mit 14 Jahren, auf den abgelegenen Wegen, auch Autofahren.

Das Erzählen stand natürlich auch beim direkten Verkauf in unserem kleinen „Supermarkt“ ganz im Mittelpunkt. Manche Kunden, blieben nicht selten eine Stunde und länger, um oft nur eine Kleinigkeit zu besorgen. Somit wussten wir sehr gut Bescheid über das, was sich so im Dorf abspielte.

Nicht selten wurde Mama dabei auch als Heiratsvermittlerin eingesetzt und es gelang ihr auch einige Beziehungen, z.B., wenn ein Partner verstorben war, in die Wege zu leiten.

Zum Einkaufen gehörte das „Anschreiben“, da in den Fabriken und Betrieben, meistens erst zum Wochenende der Lohn, noch in bar, ausbezahlt wurde. Einige wenige Kunden ließen manchmal über Wochen anschreiben und dann kamen sie nicht mehr. Nach mehreren Erinnerungen ans Bezahlen, machte Vater, in Extremfällen einen Hausbesuch, aber dabei nahm er mich nicht mit.

Da anfangs noch keinerlei Geschäftszeiten bestanden, gab es nicht selten Kundenbesuch zu „Nightshopzeiten“ und sogar an den Feiertagen. Erst später einigten sich die Geschäftsinhaber im Dorf, wenn ich mich richtig erinnere auf Initiative des Herrn Richard Liebertz, auf einen Ladenschluss um 20 Uhr und auf einige wenige Tage Jahresurlaub.

 

Vielleicht gibt’s das bei Klinkenberg

 

Wenn ich von „Supermarkt“ spreche, dann liegt das daran, dass wir, so meine ich, über das breiteste Warenangebot im Dorf verfügten. Lebensmittel, alkoholische Getränke, Rauchwaren, Schulartikel, Karten und Briefmarken, Stoffe, Nähsachen, Unterwäsche, Seifen und Waschmittel, Haushaltswaren, wie Spülbürsten, Kerzen, usw., Geschenkartikel, Rasierklingen, und vieles mehr. Dabei war, im Gegensatz zu heute, so gut wie nichts in Plastik eingepackt, da hauptsächlich nur Karton und Papier verwendet wurde.

Da ich doch oft die Ware mit auspackte oder sogar beim Verkauf helfen durfte, habe ich, auch nach über 50 Jahren, den genauen Platz all‘ dieser Waren, vor meinem geistigen Auge, noch präsent. Besonders begehrt war der Kaffee Maag, wegen der Bons in jedem Paket, die man für einfache Haushaltsgegenstände sammeln konnte. Manche Kinder kauften auch Unmengen an Riegeln Jacques-Schokolade, wegen der darin enthaltenen Bildchen.

Unzählige Male mussten Papa oder Mama von der 2. Etage runterkommen um einen Kaugummi von 1 Franken (heute zirka 2,5 Cent!), oder ein Pfefferminzröllchen für 2 Franken über die Theke zu reichen… Das waren dann oft „meine Zeiten“, in denen ich sozusagen, zur Entlastung, als Verkäufer im jungen Alter eingesetzt wurde.

Auch half ich beim 1. Schultag aus, wenn innerhalb von 2 Stunden mindestens 50 Schüler ihre Schulutensilien bei uns einkaufen kamen. Zu Weihnachten half ich Vater ein breites, etagenartiges Gestell aufzubauen, auf dem kleine Süßigkeiten für die Gabenteller angeboten wurden.

Auch halfen mein Bruder Rudi und ich am Dreikönigstag. Da keinerlei Organisation, bestürmten bis zu 20 Dreiergruppen unser Geschäft und standen im Hausflur, manchmal Schlange, um ihr Lied vorzutragen. „Wir sind die drei Könige aus dem Morgenland“; ganz originell traten einmal drei pechschwarz angemalte Kinder vor die Theke, ließen sich auf die Knie fallen und sangen „wir sind drei schwarze Mohren und haben lange Ohren, die Sonne hat uns schwarz verbrannt, usw.“

Zur staatlichen Eindämmung der Trunksucht regelte das Gesetz sehr streng den Verkauf alkoholischer Getränke. Für jede verkaufte Flasche musste man in einem Kontrollbuch Zettel ausfüllen, die die Eltern, wohl vom Französischen abgeleitet, „Passafang“ oder so ähnlich nannten. Davon verstand ich nichts, spürte aber dabei, besonders bei Mama, immer irgendwie Aufregung, da die staatlichen Sanktionen, bei Irrtümern, scheinbar ziemlich „gesalzen“ waren.

Von Heiligenbildchen und Karusselltüren

 

Bei einer besonderen Gelegenheit beehrte uns Herr Pastor Kerres mal mit einem Besuch. Zur Firmung und den damit einhergehenden Besuch des Bischofes und dem anschließenden Umtrunk, suchte er eine gute Flasche Weißwein. Mama empfahl ihm „Kröver Nacktarsch“, den es übrigens noch heute gibt.

 

Die Flaschen sind mit einem Etikett versehen, auf dem ein Kellermeister einem kleinen Jungen den nackten Hintern versohlt. Der arme Pfarrer, kam in die Bredouille und meinte: „dann beklebe ich den Po des Kleinen wohl mit einem Heiligenbildchen…!“

 

Viel Spaß machte mir auch immer die Lieferung von Waren zum Schloss Thal. Dort beteten Ordensschwestern Tag und Nacht, ohne jeglichen Bezug zur Außenwelt. Man bekam sie einfach nicht zu sehen. Wenn sie nichts mehr zu essen hatten, läuteten sie ihr kleines Glöckchen und das Dorf war „alarmiert“. Eine Reihe besonders gläubiger Kunden, und davon gab’s nicht wenige, kauften dann Lebensmittel bei uns ein und wir lieferten. Um jeglichen Blickkontakt zu vermeiden, wurden die Warendosen dann in eine Art Drehtüre gesetzt und von innen entnommen. Wie oft machten mein Freund Paul (Gillessen), mit Brot oder ich mit meiner Lebensmitteldose, uns dann einen Spaß daraus, dass einer sich in die Drehtür stellte und der andere brachte sie mit Schwung in Gang, unser Karussell. Schwester Oswalda, vom Eupener Orden im Klösterchen, schaute ebenfalls regelmäßig bei uns vorbei, um Sachspenden, wie Eier, Kaffee usw. für ihre Gemeinschaft zu sammeln.

 

Besonders lustig fand ich als Kind, wenn deutsche, hauptsächlich, Aachener Kunden, der niedrigeren Preise wegen, bei uns Kaffee und Zigaretten einkauften und sie, gleich im Laden, wegen der Kontrollen am Zoll, unter ihre Mieder und Röcke verstauten…

 

Die soziale Kontrolle in so einem kleinen Dorf, zu einer Zeit in der nur im Café Thal ein erstes Fernsehgerät stand, hatte auch Nachteile. Damit etwaiger Besuch, beim Liefern von Margarine (die billigere Alternative zur guten Butter), wegen derer sie sich schämten, nicht erkannte, verpackte ich unzählige Male also, die Päckchen Margarine, in neutralem Zeitungspapier. Heute undenkbar!

 

Es verfügten auch noch lange nicht alle Haushalte über ein Telefongerät, wobei damals noch das Fräulein vom Amt, die Nummer entgegennahm und verband, sodass viele Kunden, besonders aus der Nachbarschaft, bei uns telefonieren kamen. Oft lief ich dann auch zu ihnen, um über einen Anruf, Bescheid zu geben. Noch Vieles könnte ich über meine Kindheit im Dorfladen erzählen. Insgesamt ist mir diese Zeit in sehr schöner Erinnerung geblieben.

Unzählige Male mussten Papa oder Mama von der 2. Etage runterkommen um einen Kaugummi von 1 Franken (heute zirka 2,5 Cent!), oder ein Pfefferminzröllchen für 2 Franken über die Theke zu reichen… Das waren dann oft „meine Zeiten“, in denen ich sozusagen, zur Entlastung, als Verkäufer im jungen Alter eingesetzt wurde.

Auch half ich beim 1. Schultag aus, wenn innerhalb von 2 Stunden mindestens 50 Schüler ihre Schulutensilien bei uns einkaufen kamen. Zu Weihnachten half ich Vater ein breites, etagenartiges Gestell aufzubauen, auf dem kleine Süßigkeiten für die Gabenteller angeboten wurden.

Auch halfen mein Bruder Rudi und ich am Dreikönigstag. Da keinerlei Organisation, bestürmten bis zu 20 Dreiergruppen unser Geschäft und standen im Hausflur, manchmal Schlange, um ihr Lied vorzutragen. „Wir sind die drei Könige aus dem Morgenland“; ganz originell traten einmal drei pechschwarz angemalte Kinder vor die Theke, ließen sich auf die Knie fallen und sangen „wir sind drei schwarze Mohren und haben lange Ohren, die Sonne hat uns schwarz verbrannt, usw.“

Zur staatlichen Eindämmung der Trunksucht regelte das Gesetz sehr streng den Verkauf alkoholischer Getränke. Für jede verkaufte Flasche musste man in einem Kontrollbuch Zettel ausfüllen, die die Eltern, wohl vom Französischen abgeleitet, „Passafang“ oder so ähnlich nannten. Davon verstand ich nichts, spürte aber dabei, besonders bei Mama, immer irgendwie Aufregung, da die staatlichen Sanktionen, bei Irrtümern, scheinbar ziemlich „gesalzen“ waren.

 

„En‘ Scharrdenierr-Zupp“

 

Und oft gab es was zum Schmunzeln. Ein älterer Kunde fürchtete sich sehr vor den Tests mit „Atembomben“ (statt „Atom“) in Amerika, während ein anderer sich sehr für den Bau der „Pipeline“ („i“ als „i“ gesprochen und nicht wie das englische „ei“). Aus der „Jardinière-Suppe“ der Firma Knorr wurde bei einer Kundin, mit starkem Raerener Akzent und rollendem „r“, „en‘ Scharrdenierr-Zupp“ (gesprochen mit deutschem „i“).

 

Bevor ich hier schließe, nur noch ein kleine Begebenheit, die sich tief bei mir einprägte. Es gab ja noch keine schulischen Testzentren usw. und besonders Vater fragte sich, ob sein Söhnchen, Erwin, kurz vor der Einschulung, wohl schlau genug sei, um später einmal das „Collège Patronné“ in Eupen zu besuchen. Die Dorfschule hatte zu der Zeit lange nicht den exzellenten Ruf von heute. Darauf angesprochen, bat unsere Stammkundin und Hauptlehrerin des Dorfes, Frau Arens, mich mal vor die Theke. Ich musste mich aufrecht vor sie hinstellen und ihr einige Sekunden lang, tief in die Augen blicken. Wie es funktionierte verstehe ich bis auf den heutigen Tag nicht. Jedoch stand meine Diagnose bei ihr, nach einigen Sekunden fest: „ja, der Kleine ist gewitzt und clever, um den brauchen sie sich keine Sorgen zu machen…!“ Ob sie Recht hatte, weiß ich, bis auf den heutigen Tag nicht…

 

Erwin Klinkenberg